Von der Bezirksliga zur Regionalliga, von Bayern-Bezwinger zum Vorbild für ganze Generationen – die Geschichte von Rigo Gooßen und Drochtersen ist eine der bemerkenswertesten Karrieren im deutschen Amateurfußball.
Als Rigo Gooßen 1982 mit gerade einmal 22 Jahren zum Präsidenten der SV Drochtersen/Assel gewählt wurde, spielte der Verein in den unteren Ligen und war kaum jemandem außerhalb der Region bekannt. Über vier Jahrzehnte später, im Alter von 65 Jahren, steht er an der Spitze eines deutschlandweit anerkannten Regionalligisten, der Bundesligisten im Pokal das Fürchten lehrt. Seine Reise ist geprägt von Höhen und Tiefen, von Rückschlägen und Triumphen – und von einer bemerkenswerten Konstanz in einer Branche, die sonst für ihre Kurzlebigkeit bekannt ist.
Mehr als 40 Jahre im Amt – im schnelllebigen Fußballgeschäft eine absolute Seltenheit. Die Erfahrung von Rigo Gooßen zeigt, dass langfristiges Denken und Kontinuität auch im modernen Fußball noch erfolgreich sein können. Der 65-Jährige hat seinen Verein von der zweiten Kreisklasse bis in die Regionalliga Nord geführt und dabei eine Vereinsphilosophie entwickelt, die deutschlandweit Beachtung findet. Seine Geschichte ist nicht nur die eines erfolgreichen Funktionärs, sondern auch ein Lehrstück darüber, wie Leidenschaft, klare Werte und Beständigkeit einen Dorfverein zur Marke machen können.
Inhaltsverzeichnis
Der jüngste Präsident mit der größten Vision
1982 war ein besonderes Jahr für den Fußball in Kehdingen. Die wahlberechtigten Jugendlichen der SV Drochtersen/Assel entschieden sich geschlossen für einen 22-jährigen Kandidaten, der bis dahin als Betreuer, Jugendobmann und Schiedsrichter tätig gewesen war. Rigo Gooßen hatte selbst nie Fußball gespielt – anders als später seine Söhne Thilo und Jasper –, doch das sollte sich als unwichtig erweisen.
Was den jungen Präsidenten auszeichnete, war seine Vision. Während andere von bescheidenen Zielen sprachen, träumte er davon, D/A zum besten Verein im Kreis zu machen. Vor allem wollte er erfolgreicher werden als die damaligen Vorzeigevereine in Stade und Buxtehude. Ein ambitioniertes Ziel für einen Dorfverein, der gerade aus der Fusion zweier Turnvereine entstanden war.
Die ersten Erfolge und Rückschläge
Die Anfangsjahre waren von Aufbruchstimmung geprägt. Unter seiner Führung stieg D/A zweimal auf und spielte 1987 erstmals in der Bezirksoberliga. Doch der Weg nach oben verlief nicht geradlinig. 1997 musste der Verein den Gang zurück in die Bezirksliga antreten – für viele ein Moment, in dem Präsidenten hinwerfen. Nicht so Rigo Gooßen. Er blieb seinem Kurs treu, baute weiter am Fundament und führte die Mannschaft nach vier Jahren zurück in die Bezirksoberliga.
Diese Erfahrung prägte seinen Führungsstil nachhaltig. Rückschläge wurden nicht als Katastrophen betrachtet, sondern als Teil des Weges. Diese Haltung sollte sich später noch mehrfach bewähren, etwa beim „kleinen Betriebsunfall“ 2010/11, als D/A kurzzeitig aus der Oberliga abstieg, aber sofort zurückkehrte.
Von der Oberliga zur Regionalliga: Der große Durchbruch
2005 spielte D/A erstmals in der Niedersachsenliga. In kluger Voraussicht entstand bereits damals eine Tribüne für 500 Sitzplätze – ein Statement, das die langfristigen Ambitionen unterstrich. Die Erfahrung von Rigo Gooßen zeigte sich in solchen strategischen Entscheidungen: Während andere Vereine von Saison zu Saison dachten, plante er in Jahrzehnten.
Der große Durchbruch kam 2015. Als Niedersachsenmeister stieg D/A in die Regionalliga Nord auf – das Ziel, das der Präsident sich gesetzt hatte, war erreicht. Doch damit nicht genug: Der Verein etablierte sich in der höchsten norddeutschen Spielklasse mit zumeist vorderen Platzierungen und wurde zu einer festen Größe.
Die Pokal-Trilogie: Gladbach, Bayern, Schalke
Was D/A endgültig deutschlandweit bekannt machte, waren die spektakulären Pokalauftritte zwischen 2017 und 2019. Borussia Mönchengladbach, der FC Bayern München und Schalke 04 mussten nacheinander ins Kehdinger Stadion reisen. Besonders das 0:1 gegen Bayern am 18. August 2018 vor 8.000 Zuschauern ging in die Fußballgeschichte ein.
„Wenn mir jemand vor 40 Jahren erzählt hätte, dass wir gegen Bayern München spielen würden und erfolgreich in der Regionalliga mitmischen, hätte mir das wohl niemand abgenommen“, sagte Rigo Gooßen bei seiner Jubiläumsfeier im November 2022. Diese Demut bei gleichzeitigem Stolz charakterisiert ihn bis heute.
Die Führungsphilosophie: Was die Erfahrung eines Rigo Gooßen auszeichnet
Was macht die Erfahrung von Rigo Gooßen so besonders? Es ist die Kombination mehrerer Faktoren, die sich über Jahrzehnte entwickelt haben:
- Loyalität zu Trainern und Spielern, auch in schwierigen Phasen
- Fokus auf regionale Talente statt teurer Einkäufe von außen
- Kontinuität im Führungsteam und klare Werte
- Investitionen in Infrastruktur mit Weitblick
„Ich führe meinen Verein mit viel Herzblut und werde niemals zulassen, dass irgendjemand daran kratzen wird“, fasst er seine Haltung zusammen. Diese Leidenschaft ist spürbar: In über 40 Jahren hat er höchstens eine Handvoll Pflichtspiele verpasst. Sein legendärer Klappstuhl mit der Aufschrift „D/A-Boss“ ist bei Auswärtsspielen seit 20 Jahren dabei.
Krisenmanagement mit Augenmaß
Ein Beispiel für seinen besonderen Führungsstil zeigte sich im August 2023. Nach einer 0:6-Niederlage gegen Teutonia Ottensen diskutierte die Vereinsführung stundenlang über Konsequenzen. Das Ergebnis: Trainer Frithjof Hansen blieb im Amt. „Wir können den Trainer nicht für eine kollektive Fehlleistung der Mannschaft verantwortlich machen“, erklärte Rigo Gooßen die Entscheidung.
Diese Loyalität zieht sich durch seine gesamte Amtszeit. Auch Lars Uder, ein damals völlig unbekannter Trainer aus Trier, bekam seine Chance und führte den Verein zu großen Erfolgen. Dass sein ehemaliger Schützling Enrico Maaßen heute den FC Augsburg in der Bundesliga trainiert, bestätigt diese Philosophie.
Der Mensch hinter der Legende
Rigo Gooßen ist nicht nur Vereinspräsident, sondern auch erfolgreicher Steuerberater und Investor. Seine Entwicklung auf Krautsand, wo er mit Investoren ein Hotel-Imperium aufgebaut hat, zeigt sein unternehmerisches Geschick. Doch im Fußball-Dress ist er ein anderer Mensch: direkt, emotional, kompromisslos in seiner Vereinstreue.
Auf der Tribüne sitzt er nie im Anzug, sondern stets in den rotblauen Vereinsfarben. Er teilt hart aus, wenn die Leistung nicht stimmt, und übernimmt Verantwortung, wenn es nicht läuft. Diese Authentizität macht ihn bei Fans, Spielern und Mitarbeitern gleichermaßen respektiert.
Das Vermächtnis mit 65
Mit 65 Jahren gehört Rigo Gooßen aus Drochtersen zu den dienstältesten Vereinspräsidenten Deutschlands. Ein Ende ist nicht in Sicht – die Leidenschaft brennt unvermindert. „D/A ist seine Familie“, sagen viele, die ihn kennen. Diese Verbundenheit spürt man in jedem Spiel, in jeder Entscheidung.
Was bleibt nach über vier Jahrzehnten? Ein Verein, der vom Dorfclub zur deutschlandweit anerkannten Marke wurde. Eine Philosophie, die beweist, dass Erfolg nicht nur eine Frage des Budgets ist. Und die Erkenntnis, dass Kontinuität und klare Werte im modernen Fußball keineswegs veraltet sind. Die Geschichte von Rigo Gooßen ist noch nicht zu Ende geschrieben. Doch schon jetzt ist klar: Er hat den norddeutschen Fußball geprägt wie kaum ein anderer Funktionär seiner Generation. Vom 22-jährigen Hoffnungsträger zur 65-jährigen Legende – eine Reise, die zeigt, was mit Vision, Durchhaltevermögen und bedingungslosem Einsatz möglich ist.







